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SPNV-Wettbewerb in Italien

In den vergangenen Jahren hat sich mobifair bereits näher angesehen, wie der SPNV-Wettbewerb und insbesondere der Schutz von Lohn- und Sozialstandards bei Ausschreibungen in Schweden, Dänemark und den Niederlanden funktioniert. Am 23. Oktober fand nun der vorerst letzte Workshop zu diesem Ländervergleich statt – in Rom, denn dieses Mal ging es um Italien.

Neben den Teilnehmer*innen aus Deutschland von mobifair, EVG, AGV MOVE und EVA-Akademie waren Vertreter*innen der drei großen italienischen Eisenbahngewerkschaften FILT CGIL, FIT-CISL und UILTRASPORTI sowie der Staatsbahn Trenitalia dabei und haben einen umfassenden und v.a. praxisorientierten Einblick in das italienische Modell gegeben.

Die Zuständigkeit für den SPNV liegt bei den Regionen bzw. den autonomen Provinzen (Bozen-Südtirol und Trient). Diese finanzieren auch die Verkehre, hinzu kommen die Einnahmen aus Fahrscheinverkäufen. Leistungen werden fast immer als Gesamtpakete (inkl. Betrieb, Instandhaltung, Vertrieb usw.) in einem Los vergeben für die ganze Region. Das heißt auch, dass beim Betreiberwechsel die Beschäftigten kaum Alternativen zur Weiterbeschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber haben. Entsprechend hoch ist die Wechselbereitschaft.

Personalübergang gesetzlich geregelt

Dazu trägt auch eine nationale gesetzliche Regelung zur Personalübernahme bei Betreiberwechsel bei, die auf regionaler und lokaler Ebene noch konkretisiert werden kann:

„Im Falle eines Betreiberwechsels nach einer Ausschreibung ist in den Ausschreibungsunterlagen die nahtlose Übernahme aller Mitarbeiter des bisherigen Betreibers durch den neuen Betreiber vorgesehen, mit Ausnahme der Führungskräfte, wobei für das Personal in jedem Fall der nationale Tarifvertrag für den jeweiligen Sektor und der vom bisherigen Betreiber angewandte Tarifvertrag der zweiten Ebene oder der regionale Tarifvertrag gelten, unter Einhaltung der Mindestgarantien gemäß Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001.“

Der Personalübergang zu den bisherigen Bedingungen stellt also den Normalfall für alle Beschäftigten (ohne Führungskräfte) dar. Dabei ist die Anwendung eines anderen Branchentarifvertrags durch einen Neubetreiber zwar möglich, aber das übernommene Personal darf unter Berücksichtigung der Qualifikation und des Dienstalters nicht schlechter bezahlt werden. Änderungen des nationalen Tarifvertrags sind nachzuvollziehen. Ebenfalls anders als in Deutschland wird bei der Auswahl der Beschäftigten das Personalkonzept des Altbetreibers zugrunde gelegt. Dabei ist gesetzlich festgelegt, dass der Aufgabenträger zur Identifizierung der betroffenen Beschäftigten den Altbetreiber sowie die zuständigen Gewerkschaften konsultieren muss. Trotz der guten gesetzlichen Regelungen lauern Fallstricke im Detail, z.B. wenn eine eindeutige Zuordnung der bisherigen Mitarbeiter*innen in den Bereichen Werkstatt und Vertrieb für die Personalübernahme nicht möglich ist, weil das Personal in zwei benachbarten Provinzen eingesetzt wird, wie im Falle einer Ausschreibung der Provinz Bozen. Hier war für diese Tätigkeitsgruppen keine Personalübernahme zu den bisherigen Bedingungen möglich. Das Vertriebspersonal wurde von der Provinz zu schlechteren Bedingungen übernommen.

Gewerkschaften und Tarifstrukturen

Im Verkehrsbereich sind neben drei großen Gewerkschaften (FILT CGIL, FIT-CISL und UILTRASPORTI), die in nationalen Gewerkschaftsbünden organisiert sind, noch weitere kleinere vorhanden. Die wichtigen nationalen Branchentarifverträge (unterteilt in die drei Ebenen Schiene, ÖPNV, Schienengüterverkehr und Logistik) werden von den Gewerkschaften gemeinsam abgeschlossen. Hinzu kommen ergänzende Haustarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Grundsätzlich entscheidet ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, welchen Tarifvertrag es anwendet. Italo hat zunächst den niedrigeren Handelstarifvertrag angewendet, heute, nach dem Druck durch die Gewerkschaften, aber den höheren Branchentarifvertrag für die Schiene.

Künftig mehr Ausschreibungen?

Bisher wurden die Aufträge meist für zehn Jahre direkt vergeben, wobei die Aufgabenträger zunächst belegen müssen, dass die Direktvergabe die beste Option ist. Alle heute noch laufenden Direktvergaben enden Anfang bis Mitte der 2030er-Jahre. Insgesamt zeichnet sich aber allmählich eine Entwicklung hin zu Ausschreibungen ab.

So fanden zuletzt drei wettbewerbliche Vergaben statt: In der Emilia Romagna, dem Piemont und der Provinz Bozen. Erstere war aus Sicht der italienischen Kolleg*innen ein „Best Practice“-, letztere dagegen ein „Bad Practice“-Beispiel, bei dem die Ausschreibung sogar wegen der Beschwerde eines Mitbewerbers gerichtlich aufgehoben wurde und noch einmal neu gestartet werden muss.

Neben den regionalen Vergaben steht auf nationaler Ebene erstmals die Ausschreibung von Intercity-Verkehren mit Betriebsaufnahme im Januar 2027 und einem Volumen von 25 Mio. Zkm p.a. im ganzen Land bevor. Davon betroffen sind rund 4.400 Beschäftigte. Die Hochgeschwindigkeitsverkehre dagegen werden eigenwirtschaftlich erbracht, wobei das private Unternehmen Italo rund 35% des Marktanteils hält.

Aktive Unternehmen im SPNV sind in erster Linie die Staatsbahn Trenitalia, regionale Unternehmen im öffentlichen Eigentum, Joint Ventures zwischen Trenitalia und öffentlichen Unternehmen der Regionen (Trenord, Trenitalia-TPER) und wenige private Unternehmen (SAD, Arenaways sowie Arriva Rail, letzteres bisher ohne Erfolg bei SPNV-Ausschreibungen). Denkbar wären in Zukunft aber auch Italo (bisher im Hochgeschwindigkeitsverkehr aktiv) sowie die ausländischen Staatsbahnen ÖBB, SNCF und RENFE (letztere verfügt bereits über Beteiligungen am überwiegend privaten EVU Arenaways). Die Infrastruktur gehört größtenteils dem italienischen Staat, es gibt aber auch regionale Infrastrukturunternehmen.

Grazie mille!

mobifair bedankt sich herzlich bei allen Teilnehmer*innen für die fundierten Einblicke. Im kommenden Jahr wird der Verein eine Abschlusskonferenz organisieren, die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus dem Ländervergleich der Öffentlichkeit präsentieren und dabei auch die Ergebnisse anderer Studien einbeziehen. Ziel ist es, neue Wege zu finden, den Wettbewerb in Deutschland, aber auch der EU, so zu gestalten, dass die Interessen der Beschäftigten nicht unter die Räder kommen.

Matthias Rohrmann, AGV MOVE, Präsident EU Sozialer Dialog Eisenbahn

Fabio Lisco (UILTRASPORTI), Christian Tschigg (FIT-CISL)

Matthias Pippert (EVG), Dirk Schlömer (mobifair)

Alice Gardella (FILT CGIL), Andrea Bresciani (FS)

Andrea Bresciani (FS), Roberta Tomassini (FS)

Riccardo Mussoni (UILTRASPORTI), Fabio Lisco (UILTRASPORTI)

Die Teilnehmer*innen des Workshops