
In Sachsen-Anhalt gibt es seit über 12 Jahren eine Tariftreueregelung im Bereich des ÖPNV und SPNV. Nachdem das Tariftreue- und Vergabegesetz erst 2022 überarbeitet und auf andere Branchen ausgeweitet worden ist, kommt jetzt die Rolle rückwärts, von derselben Regierungskoalition aus CDU, SPD und FDP.
Mitte September hat der Landtag eine massive Aushöhlung des Gesetzes beschlossen: Im Namen des sogenannten Bürokratieabbaus und anderer blumiger Umschreibungen wie Beseitigung von Unklarheiten, Steigerung der Effizienz der Vergabeverfahren und schnelle Nutzung der Gelder aus dem Sondervermögen Infrastruktur.
Das Gesetz wird bis Ende 2028 nur noch für einen kleinen Teil der öffentlichen Aufträge des Landes und der Kommunen mit einem Auftragswert zwischen 40.000 und 221.000 Euro (bei Dienstleistungen) bzw. zwischen 120.000 und 5,5 Mio. Euro (bei Bauleistungen) angewendet – und auch nicht mehr im Bereich des ÖPNV auf Schiene und Straße. Neue Lohnuntergrenze wird dort der gesetzliche Mindestlohn.
Die Begründung für diesen Schritt ist für mobifair und wahrscheinlich die große Mehrheit der Vergaberechtsexperten in Deutschland nicht nachvollziehbar: Die Bundesländer hätten für den sog. Oberschwellenbereich (über 221.000 Euro Auftragswert bei Dienstleistungen, 5,5 Mio. Euro bei Bauaufträgen) keine eigene Gesetzgebungsbefugnis, weil der Bund schon alles abschließend geregelt habe (u.a. im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Wäre dies tatsächlich so, würden alle anderen Bundesländer mit Tariftreueregelung seit Jahren gegen Bundesrecht verstoßen. Darauf hat mobifair in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf hingewiesen und ausführlich dargelegt, warum die Behauptung der Regierung nicht zutrifft.
Dem Landtagsbeschluss vorausgegangen waren drei Monate intensiver Auseinandersetzungen zwischen DGB, EVG, ver.di und mobifair auf der einen und der Landespolitik auf der anderen Seite. Viele Gespräche, Stellungnahmen, Formulierungsvorschläge, Brandbriefe und eine Online-Petition mit fast 1.000 Unterzeichnern innerhalb einer Woche konnten die Regierung letztlich nicht von ihrem ideologisch motivierten Vorhaben abbringen. FDP und CDU haben sich gegen jeden Kompromiss gesperrt, etwa eine Sonderregelung für den Verkehrsbereich, wie sie in anderen Bundesländern vorhanden und problemlos möglich ist.
Beschäftigte und Unternehmen mit einem hohen Tarifniveau werden das Nachsehen haben, die Billiganbieter reiben sich schon die Hände. Aus Sicht von mobifair ist das ganze Gesetz eine Einladung an die schwarzen Schafe auf dem Markt. Und das alles aus öffentlichen Geldern und in Zeiten des weiteren Erstarkens antidemokratischer Kräfte.
Christian Gebhardt von mobifair hat das Gesetzgebungsverfahren von Anfang an begleitet und findet deutliche Worte: „Ein schwarzer Tag für alle Beschäftigten im ÖPNV und SPNV von Sachsen-Anhalt und trauriger Endpunkt einer vollkommen unsachlichen politischen Debatte voller Widersprüchlichkeiten, Nebelkerzen und oftmals der Weigerung, einander überhaupt zuzuhören. Es kann keiner behaupten, nicht vor den Konsequenzen für den ÖPNV gewarnt worden zu sein. Wenn sich in Zukunft die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtern, der Personalmangel sich weiter verschärft, die Qualität nachlässt und noch mehr Züge und Busse stehen bleiben, muss sich niemand wundern. Auch weil wir alle daran erinnern werden.“
Weitere Änderungen
Wegen der kompletten Aufhebung des Gesetzes im Oberschwellenbereich sind für diesen Bereich auch weitere Änderungen letztlich Makulatur, greifen aber für die verbliebenen Anwendungsfälle: Dazu gehört die positive Klarstellung, dass Änderungen an den für repräsentativ erklärten Tarifverträgen während der Vertragslaufzeit durch die Unternehmen nachzuvollziehen sind, aber auch die problematische Lockerung, dass künftig Haustarifverträge als repräsentative Tarifverträge und damit als Untergrenze für die Bezahlung festgelegt werden können.
Des weiteren „können“ Kontrollen weiterhin durchgeführt werden, aber künftig sogar nur noch beim Hauptauftragnehmer, nicht mehr bei Subunternehmen. Und selbst wenn einmal ein Verstoß aufgedeckt werden sollte: Auftraggeber „sollen“ künftig nur noch Sanktionen vereinbaren, „müssen“ dies aber nicht mehr.