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Rechtsgutachten stützt Tariftreuegesetz in NRW

6. Juli 2012 – Seit dem 1. Mai 2012 gilt in Nordrhein-Westfalen ein neues Tariftreue- und Vergabegesetz (TVgG-NRW). Damit gehört NRW zu der Mehrheit von Bundesländern (10 von 16), die bei der öffentlichen Auftragsvergabe Lohn- und Sozialstandards setzen. Das zeigen die Aufarbeitungen von mobifair. Für den Bereich des öffentlichen Personenverkehrs sieht das Gesetz vor, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden dürfen, die ihren Beschäftigten bei der Ausführung der Aufträge mindestens das Entgelt zahlen, das in einem repräsentativen Tarifvertrag der Branche festgelegt ist. Ähnliche Regelungen finden sich auch in den Vergabegesetzen anderer Bundesländer.

Gleichwohl gibt es in u.a. NRW Diskussionen darüber, wie die Repräsentativität eines Tarifvertrages festgestellt wird. Dabei wird insbesondere diskutiert, ob auch mehrere Tarifverträge als repräsentativ im Sinne des Gesetzes gelten können, oder ob nur einer von mehreren konkurrierenden Tarifverträgen maßgebend sein kann und gegebenenfalls, ob eine solche Ausschließlichkeit mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Zur Klärung dieser Frage haben der ehemalige Bundesverfassungsrichter und Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Prof. Dr. Thomas Dieterich, und Dr. Daniel Ulber von der Universität Köln im Auftrag des Wirtschaft- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) ein Rechtsgutachten erstellt.

Die Gutachter gelangen zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf die Kriterien und Verfahren zur Festlegung der Repräsentativität eines Tarifvertrages im TVgG-NRW keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Ausdrücklich weisen die Gutachter darauf hin, dass die Vorgabe eines allein maßgebenden repräsentativen Tarifvertrages keinen Eingriff in die Tarifautonomie darstellt, da es sich ausschließlich um eine vergaberechtliche Regelung handelt, die nur mittelbar Einfluss auf arbeitsrechtliche Bestimmungen nimmt. Das TVgG-NRW sieht vor, dass bei der Festlegung des repräsentativen Tarifvertrages insbesondere auf die Zahl der jeweils in tarifgebundenen Unternehmen arbeitenden Beschäftigten und die Zahl der jeweils unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Mitglieder der vertragsschließenden Gewerkschaft abzustellen ist.

Nach Ansicht der Gutachter schließt “der Regelungszweck des Gesetzes, das auf eine Vereinheitlichung und Angleichung der Wettbewerbsbedingungen hinwirken soll” aus, “dass konkurrierende, sich inhaltlich deckende Tarifverträge als repräsentativ angesehen werden.” Die Tatsache, dass im Wortlaut des TVgG-NRW von “repräsentativen Tarifverträgen” gesprochen wird, erklären die Gutachter mit dem Hinweis, dass “aufgrund der spezifischen Branchenstruktur des öffentlichen Nahverkehrs auch mehrere Flächentarifverträge nebeneinander den gesamten vom Gesetz erfassten Sektor abdecken können, ohne zu konkurrieren.” So bestehen traditionell unterschiedliche Tarifvertragsstrukturen für den schienen- und den straßengebundenen Nahverkehr, die sich in ihrer Geltung nicht überschneiden.

Dadurch ist jetzt klargestellt, dass die Tarifverträge als repräsentativ anzusehen sind, die eine Mehrheit der Beschäftigten einschließen. Somit fallen Gefälligkeits-Tarifverträge kleiner Gewerkschaften nicht darunter und können auch nicht Grundlage einer Tariftreue sein.

Das Gutachten in voller Länge als PDF:

Prof. Dr. Thomas Dieterich und Dr. Daniel Ulber: Zur Verfassungsmäßigkeit von Tariftreuepflicht und Repräsentativitätserfordernis in § 4 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 1 und 2 TVgG NRW
Rechtsgutachten auf Ersuchen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung, Mai 2012