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Aktuelle Symptome der Probleme im SPNV

Vier Meldungen aus  den vergangenen zwei Wochen liefern ein ziemlich genaues Bild, wie es derzeit um den SPNV in Deutschland bestellt ist – Spoiler: Nicht besonders gut – und wo die Probleme liegen. Was verraten uns die Übernahme von Abellio durch BeNEX, Diskussionen über eine Übernahme der eurobahn durch den NWL, der Betreiberwechsel im Dieselnetz-Sachsen-Anhalt und die immer noch unklare Finanzierung des Deutschlandtickets ab 2026?

BeNEX übernimmt Abellio

Am 23. April wurde bekannt gegeben, dass BeNEX Abellio in Deutschland übernimmt. Damit wechselt nach der eurobahn und Go-Ahead erneut ein Unternehmen den Eigentümer. Abellio, Tochterunternehmen der niederländischen Staatsbahn NS und einst einer der größten Marktteilnehmer im SPNV, war schon vor einigen Jahren in finanzielle Schieflage geraten. Begründet wurde dies u.a. mit unerwartet gestiegenen (Personal-) Kosten und in der Folge nicht mehr rentablen Verkehrsverträgen. Von den meisten Netzen hat man sich vorzeitig getrennt und Notvergaben und andere teure Maßnahmen nötig gemacht, doch in Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen gab es nach dem erfolgreichen Abschluss des Schutzschirmverfahrens noch Tochterunternehmen, die bis heute Netze bedienen: Die WestfalenBahn und Abellio Rail Mitteldeutschland sowie die Servicegesellschaft PTS. Allzu rosig sah deren Zukunft trotz erfolgreicher Sanierung nicht aus, nachdem das mit 9,3 Mio. Zkm p.a. sehr wichtige Dieselnetz Sachsen-Anhalt II auf die Start GmbH übergehen sollte. Diese drei Abellio-Unternehmen sollen nun von BeNEX übernommen werden. Damit verlässt NS endgültig den deutschen SPNV-Markt. BeNEX dagegen, eines der wenigen nicht-staatlichen Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland und im Eigentum eines englischen börsennotierten Infrastrukturfonds, wird damit künftig rund 3.500 Mitarbeiter beschäftigen und eine Verkehrsleistung von ca. 65 Mio. Zkm p.a. erbringen. Der Konzern hält Beteiligungen an den EVUs agilis, cantus, nordbahn, metronom und ODEG. mobifair ruft BeNEX dazu auf, seiner Verantwortung gerecht zu werden und die Beschäftigten in den Mittelpunkt zu stellen, nicht die Aktionäre.

Wohin steuert die eurobahn?

Ebenfalls in NRW, einem Bundesland mit einer sehr bewegten Geschichte des Wettbewerbs im SPNV, prüft derzeit der Aufgabenträger Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) Möglichkeiten, im Netz der eurobahn wieder verlässliche und vollumfängliche Verkehrsleistungen anbieten zu können. Dies war zuletzt wegen massiven Personalmangels nicht mehr möglich und es kam zu deutlichen Angebotskürzungen – und in der Folge auch zu hohen Vertragsstrafen. Vor gut zwei Jahren erst hatte sich Keolis, Tochter der französischen Staatsbahn SNCF, als Hauptgesellschafter der eurobahn zurückgezogen, die seitdem einer Treuhandgesellschaft einer Münchner Anwaltskanzlei gehört. Die Gründe waren im Wesentlichen die gleichen wie bei Abellio. Eine der Optionen, welche der NWL derzeit prüft, ist die eigene Übernahme der eurobahn. Dies würde wieder einmal hohe Zusatzkosten für öffentliche Kassen bedeuten, also letztlich das Gegenteil von dem, was man sich vom Wettbewerb einst erhofft hatte. Wie und ob sich dadurch jedoch das eigentliche Problem, nämlich der Personalmangel, lösen lässt, bleibt offen – und fraglich. Eine Entscheidung wird für die zweite Jahreshälfte erwartet.

mobifair meint: „Als würde es nicht reichen, dass sich die Kolleg*innen im SPNV regelmäßig Sorgen wegen möglicher Betreiberwechsel machen müssen. Jetzt müssen sie sich auch immer häufiger fragen, wie lange ihr Unternehmen noch am Markt bleibt und ihre Löhne zahlen kann. Dabei wollen sie einfach gute Arbeit leisten und nicht Spielball von Konzernen und eines fehlgeleiteten Wettbewerbs sein, den man hin und her schieben kann. So kann es nicht weitergehen.“

Betreiberwechsel im Dieselnetz Sachsen-Anhalt

Auf den ersten Blick eine erfreuliche Zahl, die von der Mitteldeutschen Zeit genannt wird: 99,7% der Beschäftigten des Dieselnetzes Sachsen-Anhalt (DISA, Abellio Mitteldeutschland) hätten bereits beim neuen Betreiber, der Start GmbH (DB Regio-Tochter) angeheuert. Die Betriebsaufnahme ist im Dezember. Der bisherige Vertrag mit Abellio wurde wegen der Schieflage des Unternehmens vorzeitig beendet, die Verkehre neu ausgeschrieben und am Ende an Start vergeben. Erfreulich ist die Zahl von 99,7% deshalb, weil die meist geringe Wechselbereitschaft von Beschäftigten gerne als Indiz dafür herangezogen wird, dass die Vorgabe der Personalübernahme bei Betreiberwechsel keinen großen Effekt habe. mobifair hält dagegen, dass dies v.a. an den vielen problematischen Details der Regelung liege und oft auch an attraktiveren Alternativen, z.B. im eigenen Konzern. Deren Fehlen ist auch der Hintergrund der hohen Wechselquote im DISA. Fehlende Perspektiven im alten Unternehmen, das nur noch ein weiteres Netz in der Region betreibt und dessen Zukunft zuletzt sehr unklar erschien – und sich erst jetzt durch die Übernahme durch BeNEX wieder etwas verbessern dürfte. Wo nicht mehr viel ist, fällt der Wechsel deutlich leichter. Kurzum: Es handelt sich hier um eine ganz spezielle Situation, die nicht verallgemeinert werden kann und somit auch nichts an der mobifair-Forderung nach einer deutlichen Verbesserung der Regelungen zur Personalübernahme ändert.

Das zweite Netz von Abellio Mitteldeutschland, Saale-Thüringen-Südharz, soll übrigens noch planmäßig bis 2030 weitergeführt werden, mit zusätzlichen Geldern von den Aufgabenträgern.

Happy Birthday, Deutschlandticket

Das Deutschlandticket gibt es mittlerweile seit einem Jahr. Von fast allen Seiten kommt Lob für den „Riesenfortschritt für die Fahrgäste des Öffentlichen Verkehrs“ (Allianz pro Schiene). Auch mobifair kann hier nur beipflichten. Und doch gibt es seit seiner Einführung ein „zermürbendes Finanzgeschacher“ (ebenfalls Allianz pro Schiene.), u.a. um die Aufteilung der Einnahmen zwischen Verbünden und Verkehrsunternehmen.  Auch diese Woche war dies wieder Thema bei der Verkehrsministerkonferenz. Es ist gar nicht nötig, hier ins Detail zu gehen, etwa zu notwendigen Weiterentwicklungen des Tickets. Wichtig ist doch: Wer die Verkehrswende will, muss dafür die entsprechenden Mittel bereitstellen, nicht nur für das Deutschlandticket, sondern auch für einen Angebotsausbau (insb. im ländlichen Raum), hohe Qualität und gute Beschäftigungsbedingungen. Dies kommt in den laufenden Diskussionen leider immer zu kurz und zeigt aus mobifair-Sicht wieder einmal, dass die „möglichst billig“-Mentalität immer noch zu oft die Verkehrspolitik bestimmt.

Und jetzt?

Jahrelang hat man sich auf Seiten der Aufgabenträger und der Politik gefreut über günstigere Angebote im SPNV, das System schien eingespielt – die Kritik seitens EVG und mobifair an vielen zentralen Stellschrauben ist in dieser Zeit aber nie verstummt. Jetzt kommt allmählich die Quittung und es wird Zeit, das System zu überdenken. Dazu gehören: Eine Stärkung der Direktvergabeoption, flexiblere Verkehrsverträge bezüglich Kostensteigerungen (bei gleichzeitig umfangreicheren Plausibilitätsprüfungen bei Angebotsabgabe, damit nicht jede Fehlkalkulation am Ende ohnehin kompensiert wird), besserer Schutz der Lohn- und Sozialstandards, eine solide und nachhaltige Finanzierung der Verkehre und grundsätzlich ein klares Bekenntnis der Politik zum ÖPNV und SPNV ohne Wenn und Aber.